„Ich bin ein Mensch dieser Welt“
Die musikalische Lesung „Ich wand`re durch Theresienstadt…“ von OPUS 45 und Roman Knižka im vollbesetzten Mehrgenerationenhaus Löhnberg stimmte nachdenklich und bewegte die Anwesenden.
Vor 85 Jahren war die Pogromnacht, als jüdische Einrichtungen in ganz Deutschland verwüstet, Synagogen in Brand gesteckt und jüdische Bürger ermordet wurden. Aktuell kommt es zu einer Zunahme rechtsextremistischer Ansichten und mit dem Konflikt in Israel nehmen ebenfalls die antisemitischen Anfeindungen zu. „Es ist schrecklich, was Menschen mit Menschen gemacht haben“, so Bürgermeister Dr. Frank Schmidt bei der Begrüßung, „umso wichtiger ist es, dass wir uns vergegenwärtigen, wie Geschichte sich entwickelt hat und das sie sich nicht wiederholt.“ Für ihn seien die Juden in Theresienstadt mutiger als alle anderen gewesen, denn in einer Situation, wo man nicht wusste, ob man den nächsten Tag überlebt, im Angesicht des Todes, habe man Kultur gepflegt, weil die andere Seite keine Kultur hatte. Bevor es direkt nach Theresienstadt ging, gab der Historiker Joachim Warlies einen kleinen Blick auf die jüdische Gemeinschaft in Weilburg und auf Theresienstadt aus Sicht der Heimat. Weilburger Juden wurden ebenfalls nach Theresienstadt deportiert und es gibt neben den Deportationsakten ebenfalls Postkarten von einem Louis Jessel, der aus Theresienstadt schrieb. Von den Weilburger Juden, welche nach Theresienstadt deportiert wurden, überlebte nur Else Geismar, welche in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag in Israel feierte. Er appellierte nach seinen einführenden Worten an die Anwesenden, die Millionen Opfer des Holocaust nicht zu vergessen.
Danach übernahm das Bläserquintett OPUS 45 und eröffnete mit einer fröhlichen Melodie. Roman Knižka kam trällernd in den Saal „Willkommen, welcome, bienvenue“. Wer seine Sorgen vergessen möchte, sei bei ihm richtig im Kabarett. „Kommt hier her, wo ich jetzt bin“, um Alltagssorgen, Unbehagen, Umzugssorgen zu vergessen. „Alle Sorgen sind vertrieben, nur eine Sorge ist geblieben“, kurze Stille, „wie komme ich hier wieder weg?“. Und dann nahmen die sechs Künstler die Besucher mit nach Theresienstadt von den Anfängen in 1940, als die kleine Festung für politische Häftlinge genutzt wurde und 1942 die deutschen Soldaten in der großen Festung das Lager Theresienstadt errichteten. Und dann lassen sie die Kinder und Jugendlichen sprechen, die das Lager erlebt haben. Theresienstadt diente bis 1945 als Gefängnis für 150.000 Juden. Jeder vierte der in Theresienstadt inhaftierten Juden starb dort. Von den fast 15.000 Kindern überlebten nur 132. Die Kinder geben wieder, wie sich der Alltag gestaltete, von der Ankunft, über Inspektionen, über das wenige Essen, die gedrängten Unterbringungen in den Zimmern, der immerwährende Hunger. Die Texte sind immer wieder gespickt mit den Wünschen, zu überleben oder auch mit den Fragen, wer man eigentlich sei und wo man seine Heimat habe. So schrieb Hanno, 15 Jahre ein Gedicht mit dem Titel „Was bin ich?“, um am Ende zu sagen: „Ich bin ein Mensch dieser Welt“.
Von Anfang an wurde Musik im Lager gemacht, zuerst illegal und später mit offizieller Genehmigung. Kultur erlebte einen Aufschwung, denn „zur schlechten Kost wollte man geistige Kost hinzufügen, um für eine Weile zu vergessen, in welchem Elend sie sich befanden“, rezitierte der Schauspieler. Und so führten sie über 35 Mal die Oper „Die verkaufte Braut“ von Smetana auf und schrieben die Kinderoper „Brundibar“, die mehrmals aufgeführt wurde und ein „süßer kleiner Triumph über den Wahnsinn“ war. Die Melodien von u.a. Pavel Haas, Hans Krása, Viktor Ullmann und Gideon Klein erklangen zwischen den Gedichten. Mal erfüllten sie fröhlich perlend den Raum, mal erklangen sie düster und schneidend. Zum Ende las Roman Knižka aus dem Buch einer Überlebenden. Ruth Klüger blickte in „weiter leben – Eine Jugend“ auf ihre Zeit in Theresienstadt zurück. „Das Gute in Theresienstadt kam von uns, den Gefangenen. Dort erfuhr ich das erste Mal, was dieses Volk sein konnte, durfte, wollte und musste. Dort bin ich zur Jüdin geworden.“ Mit einer fröhlichen Weise beendeten die Musiker den Abend, eie Veranstaltung der Hephata Diakonie, die über das Bundesprogramm Demokratie leben! gefördert wurde.