„Vier Orte – eine Gemeinde“

2024 ist ein besonderes Jubiläumsjahr. Seit 50 Jahren gehören die Ortsteile Löhnberg, Niedershausen, Obershausen und Selters zusammen und bilden eine Gemeinde. Im Zuge der hessischen Gebietsreform kam es zu diesem Zusammenschluss. Die Gebietsreform in den Jahren 1970 bis 1977 in Hessen hatte zum Ziel, größere und damit leistungsfähigere Verwaltungseinheiten zu schaffen. Dies war politisch hoch umstritten und auch hier vor Ort lief das Ganze nicht reibungslos ab.
Während die Ortsteile Löhnberg, Niedershausen und Obershausen bereits zum 30. Dezember 1970 auf einen rechtswirksamen Zusammenschluss blicken konnten, kämpften die Gemeindevertreter von Selters weiterhin für ihre Unabhängigkeit. Dieser Zusammenschluss fand erst später statt und auch die drei zusammengeschlossenen Ortsteile mussten um ihre Eigenständigkeit kämpfen, denn das Land Hessen strebte eine Zuordnung zu Weilburg an. Doch die Unnachgiebigkeit der einzelnen Akteure führte am Ende dazu, dass es heute die Gemeinde Löhnberg mit den vier Ortsteilen Löhnberg, Niedershausen, Obershausen und Selters gibt.
Gebietsreform – aus vier mach eins
Die hessische Gebietsreform in den 1970er Jahren glich im Oberlahnkreis einem Krimi. Ursprünglich war ein großes Weilburg als Mittelzentrum zwischen Limburg und Wetzlar geplant. Doch von Anfang an machten die Löhnberger ihr eigenes Ding und kämpften für ihre Selbständigkeit. Am Ende zahlte sich ihre Beharrlichkeit aus, und seit dem 1. Juli 1974 besteht die Gemeinde Löhnberg aus den vier Ortsteilen Löhnberg, Niedershausen, Obershausen und Selters.
Die Reform diente dazu, größere Verwaltungseinheiten und damit leistungsfähigere Gemeinden sowie Landkreise zu schaffen. Aus 2.642 hessischen Gemeinden, 39 Landkreisen und 9 kreisfreien Städten wurden nach der Reform 421 Gemeinden, 21 Landkreise und fünf kreisfreie Städte. Und eine dieser neuen Gemeinden war Löhnberg, obwohl sie bis 1973 hinein um ihre Selbständigkeit kämpfen musste. Beim Schmökern in alten Zeitungsberichten aus der damaligen Zeit wird deutlich, dass dies ein harter Kampf war. Mit erhöhten Schlüsselzuweisungen gelockt, kam es Ende 1970 zu zahlreichen freiwilligen Zusammenschlüssen, so auch zwischen Löhnberg, Niedershausen und Obershausen. Die Gemeindevertreter von Selters tendierten zwar damals auch schon mehr nach Löhnberg als nach Weilburg, wollten jedoch so lange wie möglich selbständig bleiben. Erst im Januar 1973 begannen Verhandlungen zwischen Löhnberg und Selters zu einem möglichen Zusammenschluss.
Bis zum Schluss um Eigenständigkeit kämpfen
Vom Land Hessen war eine eigenständige Gemeinde Löhnberg lange Zeit nicht gewollt. Vielmehr plante das Land eine Großgemeinde Weilburg als gewerblichen Standort zwischen Limburg und Wetzlar. Der Ausbau der Infrastruktur, die Standortwahl bei öffentlichen Einrichtungen und die Siedlungstätigkeit in diesem Raum bedurften einer einheitlichen Planung, wie es in einem Aktionsprogramm für die Hessischen Bundesfördergebiete 1970-74 nachzulesen war. Eine eigenständige Entwicklung von Löhnberg würde die Wirtschaftskraft von Weilburg beeinträchtigen und den landesplanerischen Vorstellungen widersprechen. Auch Selters sollte zu Weilburg kommen, da die räumlichen Gegebenheiten keine andere Zuordnung zuließen. Obwohl die Selbständigkeit von Löhnberg mit Selters 1973 noch nicht sicher war, beschlossen die Gemeindevertretungen von Löhnberg und Selters im August 1973, dass „die Gemeinde Selters aus Gründen des öffentlichen Wohls in die Gemeinde Löhnberg eingegliedert wird“. Als Gründe nannten sie damals einen gemeinsamen Schulbezirk, die ansässigen Mineralwasser-Unternehmen sowie eine engere Bindung zu Löhnberg als zu Weilburg.
Insgesamt war die Gebietsreform hochbrisant. Nicht alle Gemeinden wollten ihre Selbständigkeit aufgeben, viele haderten mit den geplanten Partnern und manche befürchteten, nach einem Zusammenschluss weniger abzubekommen als vorher. Im Großraum Weilburg nahm Löhnberg eine Schlüsselstellung ein, da viele umliegende Gemeinden wie Waldhausen oder Kubach ihren Zusammenschluss zu Weilburg von Löhnberg abhängig machten. Die Nassauische Landeszeitung (NLZ) titelte am 24.02.1970: „Die Lilie – Schlüssel zum Großraum“. Löhnberg sei im Weilburger Umland die größte und wirtschaftlich bedeutsamste Gemeinde, biete gute Voraussetzungen für industrielle Expansion und sei geschlossen in seiner Infrastruktur. Daher habe Löhnberg auch eine Sogwirkung auf seine Nachbarn. Weilburg selbst konnte keine Industriegebiete mehr ausweisen und war daher auf einen Zusammenschluss mit Löhnberg und Kubach angewiesen, um wirtschaftlich attraktiv zu bleiben. Im April 1970 heißt es in einem Kommentar in der NLZ: „Löhnberg wird nicht ohne Weilburg und Weilburg nicht ohne Löhnberg zu einem echten Schwerpunkt. Daran führt kein Weg vorbei. Jede andere Denkweise sei utopisch.“
Bürger wollten nicht nach Weilburg
Im November 1970 legte die damalige Kreisverwaltung des Oberlahnkreises ein Arbeitspapier vor, das die Bildung von acht Großgemeinden vorsah – Weilburg, Weilmünster, Weinbach, Villmar, Runkel, Obertiefenbach, Merenberg und Mengerskirchen. Ein eigenständiges Löhnberg war nicht vorgesehen. Gleichzeitig arbeiteten die Kommunalpolitiker aus Löhnberg, Niedershausen und Obershausen an der Gründung einer eigenständigen Gemeinde. Die Zeitung sprach sogar von einem Wettrennen zwischen Weilburg und Löhnberg. Schließlich gab es Signale aus dem Innenministerium, die „kleine“ Löhnberger Lösung zu akzeptieren, aber nur als Vorstufe zu einem Groß-Weilburg.
Im Dezember 1970 gab es eine Umfrage unter den Bürgern der vier Gemeinden zu einem Löhnberger Zusammenschluss. 1.413 Bürger sprachen sich gegen einen Zusammenschluss mit Weilburg aus, 103 waren dafür und 138 enthielten sich. 1.420 Bürger sprachen sich für einen Zusammenschluss von Löhnberg, Niedershausen, Obershausen und Selters aus, 120 waren dagegen und 144 enthielten sich. Mit dem klaren Votum der Bürger wurde zwischen Löhnberg, Löhnberg, Niedershausen und Obershausen ein Grenzänderungsvertrag geschlossen, der zum 01. Januar 1971 in Kraft trat. Auch wenn sich damals schon 2/3 der Selterser Bürger für einen Zusammenschluss mit Löhnberg entschieden haben, stimmte die Gemeindevertretung mit 4:3 Stimmen gegen einen Zusammenschluss. Man wolle so lange wie möglich in der Selbständigkeit verbleiben. In einem Kommentar sieht die NLZ vom 05.12.1970 eine vertane Chance, dass sich Löhnberg nicht mit Weilburg zusammengeschlossen hat: „man verzichtet ohne zwingenden Grund auf Hunderttausende, um noch höchstens zwei Jahre lang das eigene Süppchen auf hausgemachter Sparflamme kochen zu können.“
Erfolgreicher Kampf um die Selbständigkeit
Dann blieb es eine Weile ruhig um die Gebietsreform. Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Kurt Kuhlmann aus Selters zeigte November 1971 auf, dass 100.000 Mark an Schlüsselzuweisungen verloren gingen, wenn sich Selters nicht zu einem freiwilligen Zusammenschluss entschließe. „Niemand, der eine realistische und zukunftsträchtige Kommunalpolitik betreiben will, kann eine weitere Selbständigkeit unseres Dorfes vertreten und verantworten.“ Zudem seien die Aufgaben und Probleme von Selters so groß, dass diese alleine und ehrenamtlich nicht mehr gestemmt werden könnten. Dazu gehörten u.a. die untragbaren Zustände der Wasserversorgung. Die finanziellen Aufwendungen in diesem Bereich seien nur durch eine Großgemeinde zu tragen. Doch der damalige Selterser Bürgermeister Erich Kurz sah für die Gemeinde keine Vorteile in einer Großgemeinde und er wollte die Selbständigkeit nicht aufgeben, bevor keine Vorteile für die Bürger oder finanzielle Erleichterungen sichtbar seien.
Bis 1973 war es ruhig und nahm dann nochmal richtig Fahrt auf. Im Februar 1973 erkannte Innenminister Hanns-Heinz Bielefeld (FDP) die Selbständigkeit von Löhnberg an, welches zunehmend ein Eigengewicht entwickelt, aber sah Selters noch immer zu Weilburg gehörig, da es keine Verkehrsanbindung von Selters nach Löhnberg gibt, außer einer Fußbrücke über die Lahn. Eine Brücke für den Autoverkehr über die Lahn schloss er aus. Und obwohl der Innenminister die Selbständigkeit von Löhnberg bereits anzuerkennen schien, forcierte die FDP im Juni 1973 nochmal die Frage, ob Löhnberg nicht doch zu Weilburg dazukommen sollte. Ebenfalls im Juni 1973 billigt der Kreistag vom Oberlahnkreis einen Anschluss von Selters an Löhnberg, denn man „müsse den Willen der Gemeinde respektieren“, so der damalige Landrat Alfred Schneider. Dennoch wirft die FDP diese Frage immer wieder auf, so dass es im November zu einer Anhörung im Landtag kommt, zu der der damalige Bürgermeister Wilhelm Kremer sowie der Erste Beigeordnete Kurt Leuninger fahren, um für ein selbständiges Löhnberg zusammen mit Selters zu kämpfen. Der Kampf war erfolgreich und seit dem 1. Juli 1974 gibt es die Gemeinde Löhnberg mit den vier Ortsteilen Löhnberg, Niedershausen, Obershausen und Selters.